Was ist der Unterschied zwischen einem Gerichtstroll und einem Prozessbeobachter?
Gerichtstrolle sind die, die die Justiz nicht will, Prozessbeobachter die, die die Justiz nicht wünscht.
Wenn man verstehen möchte, was einen perfekten Gerichtstroll auszeichnet, hilft die Beschreibung des Herrn Rolf Schälike aus einem Zeit-Artikel von 2016 weiter. Ein Gerichtstroll ist ein Kreuzzügler gegen die Justiz oder Teile der Justiz, der über ausreichende finanzielle Mittel und Freizeit verfügt, um zivilrechtlich durchzusetzen, dass seine Kritik an der Justiz von Bestand sein darf. Denn Recht bekommen ist eine Frage des Geldes und der Beharrlichkeit.
Erfahrene Juristen bezeugen, dass es vor Gericht von Vorteil sein kann, wenn man im Recht ist.
Graham Chapman
http://www.zeit.de/2016/28/presserecht-justiz-verfahren-gerichtsstand
- Juli 2016, 3:01 Uhr Editiert am 20. Juli 2016, 15:08 Uhr
…Man ist dort ohnehin andere Dimensionen der Kritik gewohnt, seit 2005 ein Rentner namens Rolf Schälike seinen persönlichen Kreuzzug gegen die Hamburger Medienrichter begonnen hat. Als Stammgast besucht er seither die öffentlichen Verhandlungen und verfasst auf seiner Website bruchstückhafte Sitzungsprotokolle, die das Geschehen zwar nur annähernd aufklaren, ihren anderen Zweck jedoch durchaus erfüllen: die maximale Schmähung der „Zensoren in Richterrobe“. Nebenbei macht Schälike erfolgreiche Unterlassungsklagen gegen unzulässige Berichterstattung dadurch zunichte, dass er über die Klage und die zu unterlassenden Äußerungen selbst ausführlich berichtet. Gegen „Zensuranwälte“ polemisiert Rolf Schälike auch – mit solcher Beharrlichkeit, dass der Medienrechtler Christian Schertz, der aktuell zwar als Verteidiger von Jan Böhmermann, sonst aber vor allem als Klägervertreter agiert, ihn sich im Jahr 2009 mithilfe von Stalking-Gesetzen vom Halse halten musste. Mit Hunderten Klagen haben Christian Schertz und seine Leidensgenossen den renitenten Rolf Schälike im Laufe der Jahre überzogen – doch der hat die Ausdauer und ganz offenbar auch das Geld, um jede bis zum Ende durchzufechten. Man könnte meinen, er sei die fleischgewordene Rache für alle überzogenen Hamburger Presserechtsurteile: unbezwingbar, unversöhnlich. Der perfekte Gerichtstroll…
Wer ist Rolf Schälike?
http://www.justizskandale.de/?p=126
Posted März 16th, 2010
Rolf Schälike, als Diplom-Physiker ausgebildet und in der harten Schule der SED-Herrschaft zum Kämpfer gegen die Zensur gereift, ist ein mutiger Mann…
Birger Menke schrieb dort über ihn, den (oft) „einzigen Zeugen„:
>Schälike wurde 1938 geboren, seine Eltern, überzeugte und engagierte Kommunisten, lebten im Moskauer Hotel „Lux“, der Wohnstätte der Komintern… Er hatte Bücher verbreitet, darunter Titel von Heinrich Böll oder Wolfgang Leonhard. Das Bezirksgericht Dresden verurteilte ihn zu sieben Jahren Haft. […]
Schälike ging in Haft, trat in Hungerstreik und wurde schließlich 1985 in die Bundesrepublik abgeschoben. „Die DDR entledigt sich eines Unbeugsamen“, meldete die F.A.Z. Schälike war frei.<
Inzwischen liegt er auch in der Bundesrepublik im Clinch mit einem Berufsstand, der sich qua Ausbildung und ebenso dank dominanter Charaktermerkmale für Repression in beliebigen Staatsformen eignet: Juristen.
Sie sind hier und heute in der Lage, Menschen zumindest wirtschaftlich zu ruinieren.
Was dies konkret für Schälike bedeutet, konnte man in der taz lesen:
>Wenn der etwas andere Gerichtsreporter Rolf Schälike über Geld redet, bekommt man es ein bisschen mit der Angst: Seine juristischen Kosten beliefen sich 2009 auf 4.700 Euro pro Monat, sagt er in einem Tonfall, als ginge es um Heizung, Strom und Wasser. Insgesamt sind seit 2003 rund 150.000 Euro angefallen – sein persönlicher Preis für die Meinungsfreiheit.<
Nun steht Schälike ein weiterer Prozess bevor…
Das Landgericht Berlin wird am Mittwoch, den 17.03.2010 in einem einstweiligen Verfügungsverfahren (Berufungsinstanz) darüber entscheiden, ob die Berichterstattung, die ich auf meiner Webseite „www.buskeismus.de“ durchführe, als „Cyber-Stalking“ im Sinne des Gewaltschutzgesetzes anzusehen ist… Ein bekannter Berliner Rechtsanwalt fühlte sich durch meine Berichterstattung über seine Prozessführung für Mandanten und in eigenen Angelegenheiten verfolgt. Nachdem das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg zunächst den Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt hatte, erließ das Landgericht Berlin im Beschwerdeverfahren und ohne meine Anhörung eine einstweilige Verfügung nach dem Gewaltschutzgesetz, in dem mir unter anderem auch verboten wurde, mich diesem Anwalt auf mehr als 50 Meter zu nähern, was die Möglichkeit einer Berichterstattung bei Anwesenheit dieses Anwaltes im Gerichtssaal unmöglich gemacht hätte.
Auf meinen Widerspruch hin hat das Amtsgericht Charlottenburg sodann am 28.04.2009 die einstweilige Verfügung aufgehoben. Dagegen wurde von Seiten des betroffenen Anwaltes Berufung eingelegt, der immer noch eine entsprechende einstweilige Verfügung durchsetzen möchte.
Gegenstand des Verfahrens am kommenden Mittwoch wird daher auch die Frage sein, ob die von mir gepflegte Art der Berichterstattung, bei der aus engagierter Laiensicht möglichst genau der Ablauf der Verhandlungen geschildert wird, als Cyber-Stalking im Sinne des Gewaltschutzgesetzes angesehen werden kann.<…
Hat sich Medienrechtler Schertz den „Gerichtstroll“ Schälike denn nun erfolgreich vom Hals halten können?
… Schertz-Anwältin Frau Schmitt: Wir müssen es mit der Sache klären über das einstweilige Verfügungsverfahren. Wir möchten die Auseinandersetzung in der Sache. Sechs Monate ist keine starre Frist. In einem halben Jahr kann er klären, dass es Grenzen gibt, die er einhalten muss. Er kann vernünftig werden. Die Verfügung zeigte starke Wirkung. Wenn es bleibt, wie es ist, müssen wir die Hauptsache betreiben.
Beklagter Rolf Schälike: Die Verfügung galt nur anderthalb Monate. Diese anderthalb Manate haben keine Aussagekraft bezüglich meiner Tätigkeit. Die vielen Klagen wirken sich allerdings tatsächlich aus auf meine Berichterstattung, weil die Bearbeitung und Abwendung viel Zeit bindet…
Landgericht Berlin Urteil 86 S 6/10 v. 17.03.2010
… Wenn der Kläger stattdessen nur erstrebt, die ausgelaufene vorläufige Regelung durch eine neue vorläufige Regelung zu ersetzen, so verkennt er Wesen und Zweck der Möglichkeit, schnell in einem Eilverfahren mit beschränkten prozessualen Rechten eine vorläufige Regelung zu treffen. Würde man dem folgen, läge der Vorwurf eines Fehlgebrauchs des Instituts der einstweiligen Verfügung nahe…
Kommentar:
… Wie nachhaltig dies ist, werden wir in den nächsten Prozessterminen mit Dr. Schertz feststellen können. Am Dienstag, 01.06.10 ,(ZK 27 12.00 Uhr Saal 143) (Achtung! Termin 04.05.2010 verschoben auf den 01.06.10) steht ein Verfahren mit einer Reihe von Klagepunkten gegen Rolf Schälike an, u.a. ob Rolf Schälike über Herrn Dr. Schertz und seinen Vater Georg Schertz veröffentlichen darf, was auch in anderen Zeitungen zu lesen ist; außerdem möchte Dr. Schertz 20.000,00 € Schmerzensgeld von Rolf Schälike.
Neun Tage später, am Donnerstag, 10.06.2010, stehen beim Landgericht Berlin, Tegeler Weg, gleich vier Verfahren (ZK 27, erstes Verfahren 11.00 Uhr, letztes Verfahren 12:00 Uhr, Saal 143) gegen den Buskeismus-Betreiber Rolf Schälike auf dem Laufband. In einem Verfahren wird es u.a. darum gehen, ob Rolf Schälike die Stalking-Verfügung des Landgerichtes Berlin auf seiner Webseite veröffentlichen, und auf den Termin der mündlichen Verhandlung beim Amtsgericht Charlottenburg hinweisen durfte, und anschließend darauf, dass die einstweilige Verfügung aufgehoben wurde…
Das Vorgehen des Anwalts Schertz gegen den Internet-Berichterstatter Rolf Schälike zeigt, wie sehr das Zivilrecht dazu missbraucht werden kann, um unliebsame Meinungsäußerungen anderer zu verhindern oder persönliche Rachefeldzüge zu betreiben, wenn genügend finanzielle Mittel für den Zivilklageweg zur Verfügung stehen. Selbst wenn der Kläger mit seinen Unterlassungsklagen, einstweiligen Verfügungen und Berufungen letztendlich scheitert, so hat er mit seinem in Auftrag gegebenen Anwalts-Stalking und Prozess-Stalking doch eines erreicht: den Beschuldigten kostet die Abwendung der Klagen enorm viel Zeit und Kraft. Diese freie Zeit steht nicht jedem zur Verfügung. Allein hierdurch können durch den vorsätzlichen Fehlgebrauchs der Mittel der einstweiligen Verfügung und allgemein der Unterlassungsklagen Menschen in die Knie gezwungen werden, sich strafbewehrt denen zu unterwerfen, die Zeit und Geld in die Verfolgung von Andersdenkenden zu investieren bereit und in der Lage sind. Da sagen böse Zungen schon einmal:
„Sie hören von meinem Anwalt!“ ist die Erwachsenen-Version von „Das sag ich meiner Mama!“
Hier tritt Vater Staat dann an die Stelle von Mama, wobei viele Mamas die Streitlage wohl eher gerechter zu beurteilen bemüht sind als die Gerichte, denn:
„Die Justiz“, sagte Oberstaatsanwalt Dr. F. und zündete grandios die Zigarre an, die ihm der Kellner ohne Bestellung gereicht hatte, „ist ein gut funktionierender Verwaltungs- und Richterversorgungsapparat, der mit der Gerechtigkeit ungefähr so viel zu tun hat wie die Landeskirchenverwaltung mit dem lieben Gott.“
Herbert Rosendorfer
Es ist schon bemerkenswert, dass Medienrechtler Schertz seinem Kontrahenten sogar die Berichterstattung über das eigene Verfahren untersagen lassen wollte. Die meisten Verfahren sind öffentlich. Also benötigte jeder nur den geeigneten Gerichtstroll, damit der Inhalt einer erfolgreichen Unterlassungsklage doch noch den dauerhaften Weg in die Öffentlichkeit finden kann, sozusagen als ausgleichende Gerechtigkeit! Das ist doch eine schöne Idee…
Es gibt zwei Klassen von Menschen: die Gerechten und die Ungerechten. Die Einteilung wird von den Gerechten vorgenommen.
Warum das Zivilrecht reformiert werden müsste…
Der Zivilklageweg ermöglicht juristisches Stalking in beliebiger Intensität und verhilft den Reichen und Mächtigen sowie Abmahn-Anwälten nicht selten rechtswidrig zum Recht.
Der in deutschem Presserecht einmalige „fliegende Gerichsstand“ gefährdet die Meinungsfreiheit und macht die gezielte Auswahl von Kläger-freundlichen Willkür-Kammern möglich, die kritische Berichterstattung politisch zu verfolgen bereit sind, als Handlanger der Zensur.
http://www.zeit.de/2016/28/presserecht-justiz-verfahren-gerichtsstand
- Juli 2016, 3:01 Uhr Editiert am 20. Juli 2016, 15:08 Uhr
… Eine solch bizarre geografische Konstellation ermöglicht der sogenannte „fliegende Gerichtsstand“ – eine Sonderregelung des deutschen Prozessrechts, nach der sich ein Kläger etwa in presserechtlichen Verfahren den Ort des Geschehens frei aussuchen darf…
Problematisch wird es hingegen, wenn Kläger ohne jeden Bezug zu Berlin, Köln oder Hamburg einen der drei Standorte wählen, weil sie sich dort die besten Erfolgsaussichten für ihre Verfahren versprechen… Und weil die Landgerichte in Hamburg, Berlin und Köln (und einigen anderen Städten) presserechtliche Konflikte stets denselben Richtern zur Entscheidung zuteilen, ist es für spezialisierte Anwälte ein Leichtes, sich mit deren jeweiligen Gepflogenheiten und Einstellungen vertraut zu machen. „Wer den höchsten Schadensersatz will, klagt in Berlin, wobei die Kachelmann-Entscheidung Köln attraktiver machen könnte. Wer eine möglichst schnelle Unterlassung sucht, wird in Köln ebenfalls gut bedient – die besten Chancen auf eine Unterlassungsverfügung hat man hingegen nach wie vor in Hamburg“, sagt Markus Kompa, der als Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht die Piratenpartei vertritt,…
Tatsächlich haben die Richtersprüche aus der Hansestadt es in der Vergangenheit mehrmals zu fragwürdiger Bekanntheit gebracht: etwa im Jahr 2005, als die Pressekammer den Heise-Verlag für einen rechtswidrigen Nutzerkommentar in seinem Internetforum haftbar machte, obwohl der Verlag den Kommentar auf einen entsprechenden Hinweis hin sofort gelöscht hatte…
Nach den Untersuchungsergebnissen von Uwe Jürgens lag die Quote für die Aufhebung von Hamburger Presseentscheidungen durch den BGH in den Jahren 2010 bis 2012 bei etwa 50 Prozent und damit um ein Vielfaches höher als bei anderen Zivilverfahren.
Viele Medien scheuen den Weg nach Karlsruhe aber, weil er Jahre dauern und Zehntausende kosten kann…
Es ist daher nicht verwunderlich, wenn den Medienberichten über die Hamburger „Kammer des Schreckens“ (Focus) eine gewisse Verbitterung entströmt… „
Privatpersonen können sich den Weg zum BGH ohnehin nur in den seltensten Fällen leisten, und was nützt es schon, seine Meinung vielleicht nach Jahren wieder äußern zu dürfen, wenn sie ohnehin niemanden mehr interessiert, und man zwischenzeitlich wohlmöglich zu einem „Michael Kohlhaas“ geworden ist, zerstört durch seinen eigenen Rachefeldzug im Kampf um die Gerechtigkeit.
https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Kohlhaas
Michael Kohlhaas ist eine Novelle von Heinrich von Kleist… In vollständiger Form wurde sie 1810 im ersten Band von Kleists Erzählungen veröffentlicht.
Die Erzählung spielt in der Mitte des 16. Jahrhunderts und handelt vom Pferdehändler Michael Kohlhaas, der gegen ein Unrecht, das man ihm angetan hat, zur Selbstjustiz greift und dabei nach der Devise handelt: „Fiat iustitia et pereat mundus“ (dt.: „Es soll Gerechtigkeit geschehen, und gehe auch die Welt daran zugrunde!“)…
Seine Selbstjustiz könnte dementsprechend als Austritt aus dem Gesellschaftsvertrag gedeutet werden: Nachdem der Staat seiner Pflicht, Gerechtigkeit zu schaffen, nicht nachgekommen ist, nimmt Kohlhaas das Gesetz selbst in die Hand. Kohlhaas: „Verstoßen […] nenne ich den, dem der Schutz der Gesetze versagt ist! […] und wer ihn mir versagt, der stößt mich zu den Wilden der Einöde hinaus; er gibt mir […] die Keule, die mich selbst schützt, in die Hand“.
Auch Kohlhaas’ Rechtsübertretungen lassen sich durch die Philosophie Lockes rechtfertigen, der in „Die natürlichen Rechte des Menschen“ schreibt: „Ein jeder hat somit das Recht, diejenigen, die das Gesetz überschreiten, in dem Maße zu strafen, wie es nötig ist, eine neue Verletzung zu verhindern“. Andererseits stehen Kohlhaas’ Taten in keinem Verhältnis zu dem an ihm verübten Unrecht; insbesondere durch seine Mordbrennereien kommen viele Unbeteiligte und Unschuldige zu Schaden. Bei seinen Gesetzesüberschreitungen spielen neben seinem Rechtsgefühl Faktoren wie z. B. verletzter Stolz oder der Wunsch nach Rache (für seine getötete Frau) eine wesentliche Rolle…
Kohlhaas’ unerschütterliches Verlangen nach Gerechtigkeit findet im Laufe der Erzählung auf verschiedene Weise Ausdruck: Nachdem der legale Weg fehlschlägt und Kohlhaas dabei sogar seine Frau verliert, weiß er sich nicht mehr anders zu helfen als durch Selbstjustiz. In diesem Vorhaben wird er allerdings vollkommen maßlos, sein persönlicher Racheakt gegen den Junker weitet sich zu einem blutigen Feldzug gegen alles und jeden aus. Das später über ihn verhängte Todesurteil akzeptiert Kohlhaas wiederum als gerechte Strafe, wodurch sich abschließend bestätigt, dass Gerechtigkeit für ihn allerhöchsten Wert hat.
Welche Funktion hat nun ein Prozessbeobachter?
Prozessbeobachter sind oft Unterstützer der Angeklagten oder aber interessierte Besucher, die einmal oder regelmäßig in die Abgründe der Gesellschaft schauen wollen.
http://www.wz.de/home/panorama/prozessbeobachter-blick-in-menschliche-abgruende-1.740031
- August 2011
… Neulen gehört zur Spezies der Prozessbeobachter. Das sind in der Regel unauffällige, ältere Herren auf den hinteren Bänken in deutschen Gerichtssälen. Sie verpassen bei bedeutenderen Prozessen möglichst keinen Verhandlungstag, kennen Staatsanwälte und Verteidiger, haben ihre Meinung zu den Richtern, schauen in die Abgründe des menschlichen Daseins, verfolgen persönliche Dramen und haben eine dezidierte Meinung zu den Urteilen. Und sie sind Teil der Öffentlichkeit, die in Deutschland grundsätzlich in Strafverfahren und bei erwachsenen Angeklagten zugelassen ist. Jedermann kann die Verhandlungen beobachten. Das soll die Parteien vor willkürlichen Entscheidungen absichern. Publikumsandrang gibt es aber oft nur beim Verhandlungsauftakt und beim Urteil. Anders die Freaks, die kommen immer…
Lange Leitungen entschärfen selbst die schlimmsten Rohrkrepierer.
Martin Gerhard Reisenberg
In politischen Verfahren werden den oder die Angeklagten unterstützende Prozessbeobachter schon einmal für ein Grinsen eingesperrt.
10.02.17
Am gestrigen Donnerstag kam es vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf nach dem Plädoyer der Verteidigung zu tumultartigen Szenen, als Beamte auf die anwesenden Prozessbeobachter*innen losgingen. Angeklagt nach dem Gesinnungsparagrafen 129b (Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung) ist die Wuppertaler Aktivistin Latife Adigüzel, sie soll Mitglied der in der BRD verbotenen Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) sein.
Rechtsanwalt Roland Meister plädierte auf Freispruch, da seiner Mandantin keine konkreten Straftaten bewiesen werden konnten. Die bloße Behauptung, der Verein Anatolische Föderation, deren Vorsitzende die Angeklagte von 2007 – 2013 gewesen war, sei eine Tarnorganisation der verbotenen linken Partei, reiche für eine Verurteilung nicht aus. Der Verein sei zudem eingetragen und völlig legal.
Die Generalstaatsanwaltschaft fordert drei Jahre und drei Monate Haft.
Latife Adigüzel beendete ihr anschließendes Statement mit der Bemerkung, dass diejenigen, die sie verurteilen würden, die eigentlichen Verbrecher seien.
Das Lächeln eines Prozessbesuchers muss den Vorsitzenden Richter Schreiber so verunsichert haben, dass er eine Störung des Prozessverlaufes wahrnahm und bis zum Prozessende Gewahrsam für den Schmunzler anordnete.
Als schließlich wie üblich bei politischen Prozessen auch noch Parolen für die Freilassung der politischen Gefangenen gerufen wurden, verloren die anwesenden Beamten offenbar die Fassung.
Zwei Unterstützer*innen wurden festgenommen und erhielten drei Tage Ordnungshaft, ein dritter Aktivist musste nach seiner Fixierung auf dem Boden durch mehrere Beamte im Krankenhaus behandelt werden.
Es liegt die Vermutung nahe, dass durch derartige unverhältnismäßige Maßnahmen und drakonische Strafen eine kritische Öffentlichkeit erschwert oder verhindert werden soll…
Am Oberlandesgericht in Düsseldorf ist eine kritische Öffentlichkeit bei den politischen Verfahren definitiv unerwünscht. Das habe ich bei meinen Prozessbeobachtungen vor einigen Jahren selbst feststellen müssen. Und es ist tatsächlich so, dass die Richter der Staatsschutzsenate für ihre Urteilsfindungen gegen angebliche Aktivisten der DHKP-C keine Beweise benötigen. Behauptungen von Geheimdienstlern reichen da völlig aus, die Verurteilung scheint schon vor Prozessbeginn festzustehen.
Warum wurde ausgerechnet Latife Adigüzel angeklagt?
24.09.12
Nach den Ansprachen kniet die weinende Elif Kubasik vor der Gedenktafel nieder und legt die erste Rose auf die Gedenktafel, sie muss gestützt werden in ihrem Schmerz. Mehrere Dutzend Trauergäste legen ebenfalls Blumen nieder.
Die anwesende Latife Adigüzel von der „Anatolischen Föderation“ beklagt im Gespräch mit Journalisten, die staatlichen deutschen Stellen seien mitschuldig. Es müsse geklärt worden, wie die Terroristen unterstützt worden seien. Sie hätten das alles nicht ohne Hilfe organisieren können. Als alle Rosen auf der Gedenktafel an der Mallinckrodtstraße liegen, kehrt die Witwe noch einmal zurück. Sie streicht zärtlich über die Tafel und küsst sie.
Latife Adigüzel wurde scheinbar von Geheimdienstkreisen als Opfer der politischen Verfolgung ausgewählt, neben anderen. Über die wahren Gründe kann man nur spekulieren. Justizkritiker aus diesen Reihen werden jedenfalls systematisch in ihrer Existenz vernichtet, Trollen ausgeschlossen…
https://prozessbericht.noblogs.org/
Posted on 20/02/2017
Pressemitteilung der Rechtsanwälte und UnterstützerInnen von Latife Cenan-Adigüzel zur Verurteilung der Wuppertalerin wegen „Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung“ (§129b StGB)
Am Donnerstag, den 16. Februar fiel nach einem anderthalbjährigen Verfahren vor dem 5. Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf das Urteil gegen unsere Mandantin und Freundin Latife Cenan-Adigüzel. Sie wurde zu einer Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt… Die Haftanordnung bleibt bestehen, wird aber vorläufig gegen Auflagen weiter außer Vollzug gesetzt. Latife Cenan-Adigüzel kündigte in ihrem Schlusswort an, gegen eine Verurteilung Revision einzulegen.
Verurteilt wurde Latife für eine angebliche Mitgliedschaft in der als terroristisch eingestuften türkischen DHKP-C. Nachgewiesen werden konnte ihr jedoch ausschließlich ihre Arbeit als Vorsitzende der Anatolischen Föderation. Diese wird vom deutschen Staat als so genannte Tarnorganisation der DHKP-C in Deutschland betrachtet, ist bis zum heutigen Tag als Verein jedoch nicht verboten…
Durch das Urteil wird der Anwendbarkeitsrahmen des Paragraphen 129b so ausgedehnt, dass dieser künftig praktisch auf alle politisch aktiven Menschen anwendbar ist. Sollte das Urteil Bestand haben, benötigt die Justiz keine Beweise für konkrete individuelle Unterstützungshandlungen. Die bloße Aktivität in einem Verein, der zwar intern bei Ermittlungs- und Justizbehörden als „Tarnorganisation“ angesehen wird – offiziell jedoch als legaler Verein bestehen bleibt, würde für Verurteilungen zu mehrjährigen Haftstrafe nach §129b ausreichen.
In der Welt der Geheimdienste, die in das Verfahren gegen Latife Cenan-Adigüzel an mehreren Stellen involviert waren, werden solche Konstruktionen „Honeypot“ genannt. Gemeint sind damit als Fallen installierte oder weiter geduldete Strukturen, mit denen „Unwissende“ abgeschöpft werden um sie anschließend zu verfolgen. Angesichts der existenzbedrohenden Folgen von Verurteilungen nach Paragraph 129a+b StGB halten wir eine solche Praxis juristisch wie menschlich für vollkommen inakzeptabel.
Gegen einen Troll kann man nicht so einfach gewaltsam vorgehen wie gegen Prozessbeobachter einer kriminalisierten politischen Unterstützer-Szene. Ein ausdauernder Gerichtstroll ist ein unabhängiger Einzelkämpfer, der politisch nicht einzuordnen ist.
Über Prozessbeobachter kann man sich amüsiert den Mund zerreißen, sie ignorieren oder juristisch ausgedehnt und in wiederholtem Maße verfolgen. Der Gerichtstroll hingegen geht an die Substanz, man bekämpft ihn, aber er gibt nicht auf. Er verliert nie die Fassung und beschränkt sich auf die Waffe der Worte, ohne die Grenzen der Strafbarkeit in aller Eindeutigkeit zu überschreiten. Der Troll ist renitent und geschickt und damit der Albtraum der Justiz.
Manche Justizkritiker mögen der Ansicht sein, es müsse mehr unabhängige Gerichtstrolle geben, auf allen Ebenen, auch in politischen Verfahren.
So wie die Geheimdienste Zersetzung betreiben, in dem sie Regimekritiker dazu bringen, sich nur noch mit ihren persönlichen Problemen zu beschäftigen, so müsste man dafür sorgen, dass die Justiz an einer Verfahrensschwemme zusammenbricht, und zwar durch den Missbrauch der Gesetze, den sie selbst zu verantworten hat. Mir persönlich widerstrebt jedoch diese Art der Vorgehensweise. Wer erkannt hat, dass von Gerichten keine Gerechtigkeit zu erwarten ist, der sollte sich nicht der Hilfe der Justiz bedienen wollen, um diesen Zustand zu ändern Es würde sich schließlich auch niemand mit klarem Verstand an einen Mörder wenden mit der Bitte, sein Opfer wieder zu beleben.
Können Gerichtstrolle durch ihr aufopferndes Engagement dauerhafte Veränderungen des Ist-Zustands bewirken?
Danach sieht es leider nicht aus. Ganz aktuell beschwert sich der SPIEGEL in seiner Ausgabe Nr. 25 vom 17.6.2017 über die Zensur-Praxis und Willkür der Hamburger Pressekammer mit deutlichen Worten:
aus dem Beitrag: „Bitte bellen Sie leise“
„Käfer ist eine der mächtigsten Frauen im deutschen Journalismus. Die 52-jährige Juristin entscheidet mit zwei Kollegen in erster Instanz, welche Story aus dem Verkehr gezogen werden muss, welche nicht. Käfer setzt damit der Presse Grenzen – ihrer Macht, aber auch ihrer Freiheit. Sie tut das seit 2012, als sie die Kammer übernahm, und tut das so, dass Hamburg bei Klägern zu den beliebtesten Pressegerichten der Republik gehört… Auch Käfer machte sich erst gar nicht die Mühe, mit dem SPIEGEL zu reden, bevor sie ihm beide Artikel, den über Ronaldo und den über Özil, im Eilverfahren wegholzte. Eilig? Den Beschluss erließ sie am 20. Februar, mehr als zwei Monate nachdem beide Texte erschienen waren. Erst im Mai bot sich dem SPIEGEL in Hamburg die Chance, den Bann zu brechen, in der mündlichen Verhandlung. Gleich zu Beginn klärte Käfer aber auf, dass sie nicht ernsthaft daran denke… Zurück nach Berlin: … Nach einer Verhandlung am 16. März kam der Neue nun aber zu einem Urteil, das nicht nur für Özil peinlich ist, sondern auch für die Kanzlei Schertz. Sie scheiterte mit ihrem Verbotsantrag für Özil und fing sich vom Richter auch noch eine Belehrung in Medienrecht ein… Das Özil-Urteil aus Berlin liest sich deutlich. Aber offenbar nicht deutlich genug… Bei Richterin Käfer bleibt die Geschichte vorerst weiter verboten…
Man muss die doppelte Antragsstellung zum Erhalt einer einstweiligen Verfügung der beiden Fußball-Stars nicht wirklich begreifen und nachvollziehen können. Was dieser kurze von mir zitierte Ausschnitt aus dem Artikel zeigen soll: es gibt in Deutschland Willkür-Gerichte, bei denen Prominente ohne Dringlichkeit Eilbeschlüsse ohne Verhandlung erwirken können. Zwei Presse-Kammern entscheiden anschließend in zwei verschiedenen Städten in der selben Sache völlig gegensätzlich. Die Gesetze sind folglich so auslegbar, dass Zensur nach eigenem Gutdünken erst einmal erfolgen kann. Das Verhalten der Presserichter bleibt in jedem Fall für sie selbst völlig folgenlos. Der Rechtsweg gegen die erstinstanzlichen Urteile dauert Jahre, kostet viel Geld und führt sich ad absurdum, wenn es um aktuelle Artikel geht.
Also: Recht bekommen ist eine Vision. Ich muss als Bürger in einem „Rechtsstaat“ akzeptieren, dass es äußere Einflüsse gibt, die ich nicht beeinflussen kann und daher zu akzeptieren habe. Damit ist die Unrechtsprechung in Deutschland institutionalisiert. Dieses Schild habe ich im Jahr 2012 auf der Rückseite des Gebäudes der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe fotografiert.